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Seite 36 / Samstag, 25.Juli 1998, Nr. 170 Frankfurter Allgemeine Zeitung

Ruhe ist in der ritterlichen Welt dem Bürger nicht vergönnt
Nach dem Turnier ist vor dem Turnier: Die tollkühnen Männer in ihren stahlharten Rüstungen

Obwohl auf den Holzschnitten viele ge- panzerte und schwer mit Waffen beladene Männer zu sehen sind, wird hier nicht für den Krieg, sondern fürs Fest gerüstet. Die mittelalterlichen Turniere, von denen Georg Rixner in seinem 1530 erschienenen Buch aus- ladend berichtet, sind am Ende nur noch spielerische Wettkämpfe, keine Vorbereitung für militärische Ausein- andersetzungen. Mehr noch: Zieht man einen Rückschluß von der Prä- sentation der Ereignisse im Buch auf diese selbst, dann stand das gesell- schaftliche Element ganz im Vorder- grund. Hier wurde getanzt, gefeiert und geworben, daß sich die Lanzen bogen. Das Turnier war ein Ort adli- ger Gesellschaft und Geselligkeit (Thomas Zotz).
Während die ritterliche Kampfweise auf Europas Schlachtfeldern verhee- rende Niederlagen einstecken mußte, blieben im Turnier die angerosteten Ehrbegriffe von Heldentum und Edel- mut etwas länger am Leben. Hier ver- trug man sich großmütig wieder und simulierte kunstvoll die Fehde, die man realiter eben mühsam beigelegt hatte. Aus diesem Spannungsver- hältnis zwischen virtuellem Konflikt und realem Wettstreit gewannen die Turniere ihre politisch-soziale Bri- sanz. Einerseits sollten sie dazu dienen, ritterliche Tugenden spiele- risch vorzuführen. Andererseits ging es um Statusdemonstration. Das Tur- nier war Anlaß, soziale und recht- liche Beziehungen zu knüpfen und vorzubereiten. Aber auch mancher alte Streit wurde im Angesicht des Kontrahenten von Visier zu Visier gerne wieder hervorgeholt. Für die Veranstaltungsorte war dies brisant, denn die Teilnehmer kamen gerüstet, streitlustig und zahlreich. Anderer- seits fiel doch immer etwas vom Glanz des Ereignisses auf den Austra- gungsort ab, und wer wollte sich schon die Einkünfte entgehen lassen, wenn so viele Würdenträger feierlich Einzug hielten und den Wirten die Keller leerten?
Die städtischen Veranstaltungsorte lösten diesen Konflikt, indem sie einerseits händeringend versuchten, Ausrichter von Turnieren zu werden, andererseits strenge Vorkehrungen trafen, um die eigenen Bürger und deren Hab und Gut zu schützen. Hei- delberg etwa bot 1481 sechshundert Bürger in Harnisch auf, um die Si- cherheit der Stadt zu gewährleisten.

jeder von ihnen trug sein Benirnin- buch stets unter den Blechellenbo- gen geklemrnt. Da kam es schon mal vor, daß ein im Spiel attackierter Graf sich aufmachte, den Provokateur ernsthaft zu stellen, sich dafür von seinem Kämmerer ein Schwert reichen ließ, den Flüchtenden bis ins Publi- kum verfolgte und dort vor aller Augen niederstach. Rixners Turnierbuch, das wohl bedeutendste Werk seiner Art, weiß nichts von alledem. In ihm kommen die Ritter so vor, wie es dem Medium entspricht: würdig, stolz und repräsentativ. Schon in der Vorrede erklärt er dem Leser, daß das Buch dem Lob und der Ehre des Adels dienen solle. Rixner beweist seinen Eifer durch erschöpfende Auf- zählungen. Die Straßburg ließ 1408 die Stadttore, so- fern sie nicht geschlossen wurden, mit jeweils fünf Bewaffneten sichern, die Brücken gar mit zwölf. Randale ließ sich auf diese Weise aber nicht ganz verhindern, denn die am fürch- terlichsten Krawallbrüder waren ja gerade die zugereisten Ritter. Nicht über achthundert Seiten des Buches bestehen im wesent lichen aus Auf- listungen der Teilnehmer und Be- schreibungen des seinerzeit getrie- benen Aufwands. Bescheidenheit war nicht eben die Stärke dieser Spezies.
Das Buch präsentiert die Abfolge der Turniere und ihre Ausgestaltung als geschlossenen Kosmos. Bixner hat die Veranstaltungen durchnumeriert, beginnend beim Turnier von Kaiser Heinrich dem Vogler im Jahre 938 in Magdeburg, und er endet mit Nr.36, dem 1487 von der Ritterschaft am Rheinstrom veranstalteten Fest. Was historisch zwischen den ganzen Zah- len und ihrer trügerischen Illusion von Vollständigkeit liegt, wird nicht erwähnt und schon gar nicht be- schrieben. Was die Gründe von Rixners Auslassungen waren - zwischen Nr.25 (Regensburg 1412) und Nr.26 (Stuttgart 1436) müßte das Turnier der Nürnberger Ritterschaft von 1434 liegen -, darüber kann man nur spekulieren. Die Beschreibungen wiederholen diese Geschlossenheits-
rhetorik auf ihre Weise. Was Rixner an Details nicht wußte, ergänzte er ebenso großzügig wie freihändig, so daß die Vergangenheit erzählerisch keine Wünsche offenläßt. Und weil alle Ritterlichkeit schon immer so war, wie sie nun ist, lassen sich alle Tur- niere mit dem gleichen Dutzend (schöner) Holzschnitte illustrieren, die allenfalls geringfügig variiert werden. Sie wiederholen bildlich die Behauptungen von Ehre und Würde der ritterlichen Teilnehmer, zeigen wenigstens einmal aber auch die Konflikte mit dem Stadtbürgertum. Dieses war vom aktiven Wettstreit ausgeschlossen. Da blieben nur der Kauf eines teuren Tribünenplatzes und Langmut bei nächtlichen Ruhe- störungen durch angetrunkene Sportler und ihre Fans. ,,Still da!' ruft auf einem Holzschnitt ein vom Lärm auf der Gasse sichtlich genervter An- wohner zum Troß der Fremden hinab. Er wird sicher nicht zu den damaligen Käufern des Buches gehört haben. Ohnehin wüßte man gerne mehr über die Lesegewohnheiten der zeitge- nössischen Adressaten: War das Buch, von dem sich heute nur drei Exemplare in öffentlichem Besitz erhalten haben, eine humanistische Vorform der heutigen Coffee-Table- Books, die man zu eigenem Protz und zur Ehre des gepflegten Haushalts den Besuchern wie zufällig präsen- tierte, indem man sie auf den Beitisch drapierte? Oder nahm das ausge- schlossene Bürgertum tatsächlich die Last auf sich, neidzerfressen die Be- schreibungen der prunkvollen Veran- staltungen des Adels zu lesen, und sehnte sich dabei nach Nobilitierung und künftiger Teilnahme? Am wahr- scheinlichsten ist jedoch, daß die Rechnung des Verlegers aufging und die adligen Teilnehmer selbst ihm die Exemplare aus der Presse rissen und zur Selbstbespiegelung ins fürstliche Regal stellten. Es wäre dann auch kein Zufall, daß der Reprint ausge- rechnet als Band 2 der ,,Bibliothek für Familienforscher' erschienen ist. Man möchte schon wissen, ob die Ahnen echte Champs oder bloß Hooligans waren.      MILOS VEC

Georg Rixner: Turnierbuch". Reprint der Ausgabe Simmern 1530 (Biblio- thek für Familienforscher, Band 2). Verlag E. & U. Brockhaus, Solingen 1997. 26 u. 834 5., geb., 398,- DM.

   Abb. a. d. bespr. Bd.
Frühe Tanzstunde für die reifere Jugend: Zum Abschluß des von Herzog Hermann zu Schwaben und Alemannien vom 16. bis zum 20. August 1080 veranstalteten Augsburger Turniers, des achten in der Zählung von Georg Rixner, fand ein Ball statt, auf dem Frauen und Jungfrauen die neu er- wählten Turniervögte ehrten.