| Zurück zum Verlag U. & E. Brockhaus | |
| Seite 36 / Samstag, 25.Juli 1998, Nr. 170 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | 
|  
       | 
  |
| Ruhe ist in der ritterlichen Welt dem Bürger nicht vergönnt Nach dem Turnier ist vor dem Turnier: Die tollkühnen Männer in ihren stahlharten Rüstungen  | 
  |||
|  
       Obwohl auf den Holzschnitten 
        viele ge- panzerte und schwer mit Waffen beladene Männer zu sehen sind, 
        wird hier nicht für den Krieg, sondern fürs Fest gerüstet. Die mittelalterlichen 
        Turniere, von denen Georg Rixner in seinem 1530 erschienenen Buch aus- 
        ladend berichtet, sind am Ende nur noch spielerische Wettkämpfe, keine 
        Vorbereitung für militärische Ausein- andersetzungen. Mehr noch: Zieht 
        man einen Rückschluß von der Prä- sentation der Ereignisse im Buch auf 
        diese selbst, dann stand das gesell- schaftliche Element ganz im Vorder- 
        grund. Hier wurde getanzt, gefeiert und geworben, daß sich die Lanzen 
        bogen. Das Turnier war ein Ort adli- ger Gesellschaft und Geselligkeit 
        (Thomas Zotz).  | 
    jeder von ihnen trug sein Benirnin- buch stets unter den Blechellenbo- gen geklemrnt. Da kam es schon mal vor, daß ein im Spiel attackierter Graf sich aufmachte, den Provokateur ernsthaft zu stellen, sich dafür von seinem Kämmerer ein Schwert reichen ließ, den Flüchtenden bis ins Publi- kum verfolgte und dort vor aller Augen niederstach. Rixners Turnierbuch, das wohl bedeutendste Werk seiner Art, weiß nichts von alledem. In ihm kommen die Ritter so vor, wie es dem Medium entspricht: würdig, stolz und repräsentativ. Schon in der Vorrede erklärt er dem Leser, daß das Buch dem Lob und der Ehre des Adels dienen solle. Rixner beweist seinen Eifer durch erschöpfende Auf- zählungen. Die Straßburg ließ 1408 die Stadttore, so- fern sie nicht geschlossen wurden, mit jeweils fünf Bewaffneten sichern, die Brücken gar mit zwölf. Randale ließ sich auf diese Weise aber nicht ganz verhindern, denn die am fürch- terlichsten Krawallbrüder waren ja gerade die zugereisten Ritter. Nicht |  
      über achthundert Seiten des Buches bestehen im wesent lichen aus Auf- listungen 
      der Teilnehmer und Be- schreibungen des seinerzeit getrie- benen Aufwands. 
      Bescheidenheit war nicht eben die Stärke dieser Spezies.  Das Buch präsentiert die Abfolge der Turniere und ihre Ausgestaltung als geschlossenen Kosmos. Bixner hat die Veranstaltungen durchnumeriert, beginnend beim Turnier von Kaiser Heinrich dem Vogler im Jahre 938 in Magdeburg, und er endet mit Nr.36, dem 1487 von der Ritterschaft am Rheinstrom veranstalteten Fest. Was historisch zwischen den ganzen Zah- len und ihrer trügerischen Illusion von Vollständigkeit liegt, wird nicht erwähnt und schon gar nicht be- schrieben. Was die Gründe von Rixners Auslassungen waren - zwischen Nr.25 (Regensburg 1412) und Nr.26 (Stuttgart 1436) müßte das Turnier der Nürnberger Ritterschaft von 1434 liegen -, darüber kann man nur spekulieren. Die Beschreibungen wiederholen diese Geschlossenheits-  | 
     
        rhetorik 
        auf ihre Weise. Was Rixner an Details nicht wußte, ergänzte er ebenso 
        großzügig wie freihändig, so daß die Vergangenheit erzählerisch keine 
        Wünsche offenläßt. Und weil alle Ritterlichkeit schon immer so war, wie 
        sie nun ist, lassen sich alle Tur- niere mit dem gleichen Dutzend (schöner) 
        Holzschnitte illustrieren, die allenfalls geringfügig variiert werden. 
        Sie wiederholen bildlich die Behauptungen von Ehre und Würde der ritterlichen 
        Teilnehmer, zeigen wenigstens einmal aber auch die Konflikte mit dem Stadtbürgertum. 
        Dieses war vom aktiven Wettstreit ausgeschlossen. Da blieben nur der Kauf 
        eines teuren Tribünenplatzes und Langmut bei nächtlichen Ruhe- störungen 
        durch angetrunkene Sportler und ihre Fans. ,,Still da!' ruft auf einem 
        Holzschnitt ein vom Lärm auf der Gasse sichtlich genervter An- wohner 
        zum Troß der Fremden hinab. Er wird sicher nicht zu den damaligen Käufern 
        des Buches gehört haben. Ohnehin wüßte man gerne mehr über die Lesegewohnheiten 
        der zeitge- nössischen Adressaten: War das Buch, von dem sich heute nur 
        drei Exemplare in öffentlichem Besitz erhalten haben, eine humanistische 
        Vorform der heutigen Coffee-Table- Books, die man zu eigenem Protz und 
        zur Ehre des gepflegten Haushalts den Besuchern wie zufällig präsen- tierte, 
        indem man sie auf den Beitisch drapierte? Oder nahm das ausge- schlossene 
        Bürgertum tatsächlich die Last auf sich, neidzerfressen die Be- schreibungen 
        der prunkvollen Veran- staltungen des Adels zu lesen, und sehnte sich 
        dabei nach Nobilitierung und künftiger Teilnahme? Am wahr- scheinlichsten 
        ist jedoch, daß die Rechnung des Verlegers aufging und die adligen Teilnehmer 
        selbst ihm die Exemplare aus der Presse rissen und zur Selbstbespiegelung 
        ins fürstliche Regal stellten. Es wäre dann auch kein Zufall, daß der 
        Reprint ausge- rechnet als Band 2 der ,,Bibliothek für Familienforscher' 
        erschienen ist. Man möchte schon wissen, ob die Ahnen echte Champs oder 
        bloß Hooligans waren. 
    Georg Rixner: Turnierbuch". Reprint der Ausgabe Simmern 1530 (Biblio- thek für Familienforscher, Band 2). Verlag E. & U. Brockhaus, Solingen 1997. 26 u. 834 5., geb., 398,- DM.  | 
  
      ![]() Abb. a. d. bespr. Bd.  | 
  |||
| Frühe Tanzstunde für die reifere Jugend: Zum Abschluß des von Herzog Hermann zu Schwaben und Alemannien vom 16. bis zum 20. August 1080 veranstalteten Augsburger Turniers, des achten in der Zählung von Georg Rixner, fand ein Ball statt, auf dem Frauen und Jungfrauen die neu er- wählten Turniervögte ehrten. | |||